"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Erste Gehversuche


Mein Start in dieses Leben.
Meine böse kleine Mama sagte neulich nach einer unwichtigen Zankerei zu mir: "Du warst schon als Einjährige merkwürdig." Das saß. Konnte ich was dafür, dass meine panische Mutter sich genötigt sah, mein permanentes Geschrei abzuwürgen, indem sie mich mit Fläschchen voll stopfte?

Auf dem Hof und im Lager machte mein Onkel Krach, - er schreinerte und stapelte Bierkästen zum Verkauf -, und ich jaulte wohl wie ein verlassener Welpe, dem Silvesterkracher um die Ohren fliegen. Meine behutsame ältere Schwester war noch recht ladylike mit den gläsernen Milchpullen umgegangen, an denen sie süß und unschuldig genuckelt hatte. Ich nicht. Ich schmiss die leeren Dinger aus dem Bett und heulte nach mehr. Meine Mutter sammelte die Scherben ein, nannte mich "oller Russe" und kaufte Flaschen aus Plastik. Unkaputtbar, auch für mich.

Der Stammhalter ist da

Das ist eine durchaus prägende Geschichte, die mir, zugegeben, nur erzählt wurde. Woran ich mich definitiv erinnern kann, ist der Einzug meine Bruders, jüngstes von vier Kindern, einziger Stammhalter, um den ein Tamtamm veranstaltet wurde, als hätte Jung-Artus soeben Excalibur aus dem Felsen gezogen. Tausend Leute standen an seiner Wickelkommode und gafften verklärt, und irgendeine prüde Zicke aus der Nachbarschaft gab meinen Fingern einen Klaps, als ich die Decke weg zog und nachgucken wollte, welch wundersamer Gnom dort mit diesem mickrigen Unterscheidungsmerkmal lag und beglotzt wurde.

Alle waren besoffen

"Die ganze Straße war besoffen, als er endlich da war." Davon sprechen meine Eltern heute noch oft und überaus gern. Ich verkneif mir in diesen rührseligen Momenten die Frage nach den Böllerschüssen, die jeder Kronprinz wohl verdient oder auch nicht. Immerhin schulde ich ihm einen Porsche, - wir hatten mal gewettet, wer mit sechsunddreißig erfolgreicher sein würde -, und noch übt er sich in Geduld.

Im Kindergarten schrieb ich natürlich noch nicht. Ich dachte. Dachte darüber nach, was passieren würde, wenn ich im Schlafanzug und in Pantoffeln dort aufkreuzen und den anderen nette kleine Gute-Nacht-Geschichten erzählen würde wie meiner dreijährigen Schwester: Der schwarze Mann wird Dich kriegen, der wartet auf dem Clo. Wenn Du dringend Pippi musst, leg' Dir vorher ein Handtuch über den Kopf, dreh' Dich zehnmal im Kreis, hüpf zwischendurch immer wieder auf einem Bein und sage dabei laut: "Stettetottentummdadumm." Machst Du das, dann frisst er Dich nicht. Logisch, oder?

Da wurde Mutter misstrauisch


Ein paar Jahre später.
Während meine Schwester meinen freundlichen Rat befolgte, eilte unsere stets besorgte Mutter ins Kinderzimmer, angezogen von dem merkwürdigem Gebrabbel, hatte sie uns doch vor zwanzig Minuten noch dringend empfohlen, jetzt, bitte, zu schlafen. Wahrscheinlich hielt sie damals noch meine Schwester mit dem Handtuch auf dem Kopf für etwas wirr; später dann, als ich auch meinen Bruder reif genug für die dunklen Wahrheiten des Lebens empfand, - Stettetottentummdadumm -, wurde sie misstrauisch mir gegenüber. Ich fühlte mich gleichsam geliebt, aber beobachtet.

Im Kindergarten überlegte ich kühlen Kopfes, in welche hässlichen Käfer ich den fetten Karsten und Susanne, selbsternannte Chefin der Puppenecke und Bastelkörbchen (heute vermutlich Domina in Wattenscheid oder zumindest Siemens-Managerin), verwandeln würde, hätte ich die Auswahl. Es war deutlich spannender für mich, mir vorzustellen, ich könnte plötzlich fliegen und von Wolke Sieben aus alle verschwinden lassen, die mir nicht passten, als mit dem Plumpsack zu solidarisieren. Gern hätte ich auch als Einzige mit Stofftieren sprechen können, die auf mein Kommando hören und tüchtig zuschnappen würden. Nur für den Fall.

Karin, komm' da weg

Dieses Denken in frühen Jahren ist für zukünftige Schriftsteller unentbehrlich. Denke ich. So sehe ich's im Nachhinein, klingt auch deutlich besser als: Ich dümpelte allein für mich herum, spazierte an den Fenstern auf und ab und betete, Fräulein Gabi möge mich bitte verschonen. Das tat sie nicht. "Karin, komm' da weg, geh' mal in die Puppenecke."

Wie ich das hasste, von dieser blonden dicken alten Frau genötigt zu werden. Natürlich traute ich mich nicht, zu sagen: "Nein, lieber nicht, ich denke grad nach." Und natürlich war das Fräulein Gabi nicht alt, sondern grad mal Anfang Zwanzig. Den fetten Hintern habe ich freilich schon damals korrekt registriert, den hat sie immer noch, und immer noch wohnt sie irgendwo in unserer verschlafenen Heimatstadt, trägt billige Dauerwelle und guckt mich schief an, wenn ich sie höflich grüße.

Wo bleibt nur der Großvater?"

Ich, eine Frau von mittlerweile über vierzig, die ihrer ehemaligen Kindergärtnerin artig einen guten Tag wünscht. Verziehen habe ich ihr freilich nicht, dass sie mich derart bockig unter Druck gesetzt hat, obgleich ich meine Zeit an den Fenstern wahrlich besser hätte nutzen können. Dort sah ich mich tanzen und zaubern, war in meinen Bildern mächtig und wunderschön, - tatsächlich hatte ich riesige Sommersprossen, war etwas pummlig, scheu und schlecht gelaunt. Lautlos bettelte ich mir meinen Großvater mit seinem Hund Greif herbei, der mich vorzeitig abholen käme mit den Worten: "Das Kind sehen Sie hier nie wieder, Fräulein Gabi. Und basta." Und zu mir: "Komm' bloß weg von den Gören."

Jawohl, so böse dachte ich. Ich konnte sie alle nicht leiden, diese süßen kleinen Frohnaturen, die an jedem Scheiß ihre helle Freude hatten, sogar beim Eierlöffellauf und Sackhüpfen, also zwei von einer Million Grausamkeiten, die mit zu machen im Leben oberstes Gebot sind, um in den Kreis der Normalen aufgenommen zu werden.

Ich war kein sympathisches Kind

Ich war schüchtern, eigenwillig und muffelig, und weil meine Eigenwilligkeit ignoriert wurde, verhielt ich mich ergo zusehends muffeliger und konnte damit keinen Blumentopf gewinnen, wie meine Oma immer sagte, wenn ihr einer pampig kam: "Für so was hab ich keinen Blumenpott übrig." Heißt ergo: Vermutlich war ich kein sonderlich sympathisches Kind, wie meine gleichaltrige Cousine Cornelia einige Jährchen später zu sagen pflegte: "Die olle Karin ist langweilig, die liest ja nur."

Tatsächlich las ich wie eine Verrückte, freilich auch, um nicht mit unnützen Gesprächen belästigt zu werden. Das mache ich heute noch gern in Wartezimmern und Zügen: Buch aufklappen, Stirnrunzeln, höchste Konzentration…bedeutet: Quatscht mich bloß nicht an! Eine Lesebrille auf der Nase würde das Bild noch professioneller gestalten, aber meine Augen sind in Ordnung, der Optiker sagt: "Sie gucken wie ein Karnickel in der Nacht." Der Vergleich irritiert mich, aber ich muss wohl damit leben.

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Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

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