"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Heine guckt blöd


Wir denken, dass wir denken...denke ich.
Ein deutscher Dichter sitzt vor dem Kurtheater auf Norderney und guckt blöd. Zumindest findet das der Russe Nikolai, der mich durchaus interessiert fragte: "Was ist das für ein Arsch?"

Ich klärte ihn auf, wissbegierige ausländische Mitbürger, denen unser Kulturgut eben nicht egal ist, wie so viele böse Zungen meinen, sollen und wollen ernst genommen werden. Ich sagte: "Das Arsch ist Heinrich Heine." Kurzes Schweigen. Dann: "Ach ja? Und warum guckt der so blöd?" Ich lächelte mütterlich. "Heine guckt nicht blöd. Er denkt."

Ich muss gestehen, so recht zufrieden war ich mit meiner Antwort nicht. Zwar hat sich der Bildhauer, der Heine da überlebensgroß so und eben nicht anders für die Nachwelt in Position gesetzt hat, recht ordentlich Mühe gegeben, Heine so richtig denkend, also nachdenkend, weit und breit denkend (mehr fällt mir jetzt nicht ein) herüber kommen zu lassen. Aber irgendwie ist wohl doch was in die Hose gegangen.

Ich stelle mir mal vor, die Person auf dem Sockel wäre ich, die Augen gesenkt, halb verschleiert auf den Boden gerichtet, so ganz in mir selbst vertieft, weg vom Weltlichen, wie der Künstler es nun mal zu sein pflegt, nun, das hat was, das macht doch wohl erst einmal gewaltigen Eindruck. Sollte man meinen.

Das würde auch Heine so sehen. Der macht da auf seinem Stuhl so richtig einen auf lässig, aber das soll wohl nicht lümmelig wirken, sondern gut arrogant, fein soweit, das darf man ihm abnehmen, so soll das wohl auch sein. Ich würde noch einen drauf setzen. Ich würde halb hocken, also einbeinig elegant knien, Ellenbogen Heine-lässig abgestützt, - nur einer, beide würden dämlich aussehen -, eine lockere Faust unter meinem Kinn, eben auch lässig, der Kopf ruhend auf meiner Hand. Korrigiere, nicht ruhend, sondern wirkend, er pennt ja nicht, er arbeitet. So sähe das aus. Kommt das 'rüber, wie gedacht?

Wie ich da etwas unbequem hocke, was mich aber nicht juckt, - ich wäre ja schon tot - , bin ich eine geballte Ladung Denken in Person, zudem sehe ich verdammt gut aus, da ich noch einen Tick besser frisiert und gekleidet bin als Heinrich. Der trägt eine kurze Buxe. Ich nicht. Aber sein Blick ist wissend. Wie meiner. Nun sollte man davon ausgehen, dass jeder Depp erkennen kann: Aha, da denkt jemand. Etwas anderes als Denken kommt gar nicht in Frage, wenn der Heine oder eben die Reddemann, - also ich jetzt vor dem Kurtheater auf dem Sockel -, da so sitzt, in dieser typischen Denkerstellung mit diesem typischen Denkergesicht, dann denkt der oder die eben auch, und zwar gewaltig und viel und wichtig und richtig und überhaupt.

Ist aber nicht so. Es gibt Leute, die behaupten, Heine sitzt da einfach nur so herum und ist grundsätzlich mit rein gar nix beschäftig. Er guckt halt. Na und? Andere wie mein russischer Weggefährte gehen noch weiter und behaupten, er würde nicht nur einfach harmlos gucken, sondern blöd aus der Wäsche glotzen. Sinngemäß. Da stellt sich übrigens die Frage, ob Nikolai vielleicht sogar aufmerksamer und vorurteilsfreier als so mancher leicht verklärte Freund der deutschen Dichtkunst Heines doofen Gesichtsausdruck gedeutet hat. Bei genauerer Betrachtung muss ich ihm beipflichten.

Ich formuliere das mal so: Da will jemand vor dem Kurtheater auf Norderney schon recht verbissen den Eindruck erwecken, ein verdammt heller Kopf zu sein. Aber so was von blitzgescheit auch. Na denn, wer's braucht. Gut an kommt das nicht. Weder bei mir noch bei den Russen oder sonst wem, der genauer hin guckt. Heine selbst wäre freilich begeistert gewesen von sich als der Wahnsinnsdenker schlechthin, der war ein arroganter Schnösel, das passt zu ihm. Herr Oberschlau. Was hat der überhaupt geschrieben? Wassergedichte. Auch nicht so der Brüller.

Ich für meinen Teil beschäftige mich zur Zeit schon damit, wie das nun im konkreten Fall aussieht, wenn ich selbst sozusagen gleichzeitig denke und gucke. Mein Spiegelbild sagt mir, das sähe einfach nur großartig und authentisch und lebensecht sowieso aus, aber ich trau ihm nicht. Arsch. Lügt eben gern. Ordentlich nachgehakt bei meinen Mitmenschen habe ich diesbezüglich noch nicht. Ich könnte mal fragen, wie der eigentlich wirklich so ankommt. Mein Blick beim Denken. Grundsätzlich denke ich normal oft am Tag. Glaube ich. Aber das zählt nur bedingt, kommt ja hier nicht auf all den Müll an, der einen so beschäftigt.

Allerdings wage ich zu behaupten, dass ich auch ausgesprochen intelligent gucken kann, wenn ich Fußnägel, Bratkartoffeln und Intimrasur vor meinem geistigen Auge habe. Doch, das klappt hervorragend. Hat bei Heine aber nicht so ganz hingehauen. Offensichtlich denkt der dort vor dem Kurtheater auf Norderney auch bloß grad an Heringssalat und fragt sich, wie der Sand in seine Poritzen geraten ist. Sein Pech, dass man ihm's ansieht. Immerhin.

Alles kann seinen philosophischen Hintergrund haben. Und wenn partout keiner da ist, bildet man sich den ganz einfach ein. Das rechtfertigt so ein bisschen den tiefschürfend denkenden Blick. Man denkt ja auch wirklich, ist nicht verkehrt gedacht.. Man denkt halt nur nicht an die Loreley, sondern an Filzläuse. Oder Blaubeerpfannkuchen. Egal. Muss niemand wissen. Hauptsache, man guckt dabei nicht blöd. So wie ich grad. Warum? Weil keiner zuguckt. Darum.


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Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
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