"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Wahre Liebe

Hanno strippte. Chris hielt sich das Teddykissen mit "Ohne Dich ist alles doof", fett drauf gestickt, vor die Nase und nahm sich vor, jetzt und hier und gleich zu ersticken.

"Hanno. Bitte." Er sprach unsauber, das war Absicht.

Hanno zog den türkisfarbenen Slip in der Ritze zurecht, bedauerte, an diesem Abend keinen String zu tragen und keifte los. "Was jetzt? Waswaswas?"

Chris legte das Kissen auf seinen Schoß, nicht, um Steifes zu verbergen, danach war ihm nicht. "Du bist peinlich, Darling."

Wir glotzten gekonnt betreten drein und nahmen alle drei einen kräftigen Schluck von dem geklauten Roten. Den hatte Hanno vom Nachbarn besorgt, Friedwart Hoffmann, der gern im Gartenstühlchen hockte und lauschte und sich Ruhe erbat. "Schnauze, Schwulenpack, da oben."

Friedwarts Keller hatte kein vernünftiges Schloss, er war da nachlässig, dachte wohl nicht, dass auch Homos durchaus klauen, wenn sie Durst haben. Für ihn waren das alles Tunten, er machte da keinen Unterschied, obwohl Chris rau sprach und Muckis zeigte. Elegant verpackt. Insgeheim hatte Friedwart Angst vor ihm, war mal erwischt worden, als er beim Grillen mit Kunibert und Luise Illsemann und seiner Eigenen, Wilma-Wuchtbrumme, wie er sie am Tresen nannte, so richtig gut abgelästert hatte.

"Heiteitei, Chrissi, Dein Hannolein will Dich. Mach' den Arsch blank." Chris stand urplötzlich da in Armani, das irritierte, wollte irgendwas mit dem Schornsteinfeger wissen, blitzte ihn an mit seinen sowieso verdächtig schönen Augen. "Sprechen Sie über uns?"

Seitdem war Friedwart vorsichtig. Sperrte trotzdem den Keller nicht zu. Ergo hatten wir Rotwein, der billig schmeckte, aber kickte. Meine beiden Schwestern schüttelten sich, ich schüttelte mit, das Gesöff war eindeutig weniger spannend als der Zickenalarm, der jetzt losging. Kannten wir. Genossen wir mit süßer Gänsehaut, bemüht, nicht auffällig mit den Mundwinkeln zu zucken.

Hanno schmollte, schmiss sich türkis beslipt in den Korbstuhl und fuhr sich mit den Fingern durchs Blondhaar. Gut gefärbt. Wie seine Wimpern. Die klappte er nach unten, das sah dramatisch aus, das wollte er auch. Wir nahmen vorsichtig noch ein Schlückchen und spannten. Elende Voyeure, wir. Zwinkerten uns zu und warteten auf Psychosen. Hanno zündete sich eine seiner langen dünnen Zigaretten an, die er in der Firma nicht rauchte. Seine Federboa hatte er achtlos auf den Heizkörper geworfen, sicheres Zeichen dafür, dass er gereizt war.

"Hast Du grundsätzlich etwas gegen mich, Christoph?"

Chris erhob sich träge, wie der Löwe, der niemals wirklich schläft, und stopfte das T-Shirt in die Hose. Vorbei mit Gemütlichkeit, die Katze war hellwach und sauer. "Du musst hier nichts beweisen, Hanno. Keine Show mehr, zieht nicht."

Nichtnichtnicht. Stichwort. Hanno schnippte die Angerauchte in den Kamin, hüpfte hoch, zierlich meckernd, trotzdem wortlos, so gut kann das keine Frau, und drehte den CD-Player auf. Schnappte sich seine Boa und verknotete sich, rubbelte mit dem roten Flatterding zwischen seinen Beinen hin und her und kreiste mit blassen Latino-Hüften. Die Gaynor brüllte was von Überleben. Wir dachten nur, Gott, Friedwart.

Chris stand jetzt direkt vor ihm, riss ihm die blöde Boa weg und starrte ihn gefährlich an. Liebend vermutlich auch. "Mach' das leise. Und kein Getanze mehr. Zieh' Deine Hose an."

Hanno schubste ihn weg. Es war so ein Ekel-Schubser, so wegwegweg, habe jetzt Migräne, außerdem riechst Du.

"Vorsicht, Sir." Das war Chris.

Hanno schubste noch ein zweites Mal. Er war in Fahrt. "Weißt Du, wo Du in zehn Jahren hockst, Fettkloß? Auf dem Bahnhofsclo." Wedelte sich tänzelnd einmal um die eigene Achse und warf den Kopf der Diva in die Runde. Fuhr ihm mit den Federn durchs Gesicht, nach denen Chris schnappte. Verspielte Welpen machen das. Männer mit süßen kleinen Nutten am Hals wohl auch. Genau das sagte er. Sagte einfach nur "Nutte, Du".

Sah uns misstrauisch an, wir grinsten aber nicht, weil wir jeglichen Augenkontakt streng vermieden. Anders wäre das nicht machbar gewesen. Hanno verstrubbelte ihm das Haar, das lenkte ihn von uns ab, und streckte ihm die Zunge raus. "Bäh. Bahnhofsclo. Bahnhofsclo." Er drehte eine Pirouette. Zu gewagt mit zuviel Wein im Hirn. Knallte gegen das Bücherregal. Kicherte und rieb sich den Hintern. "Bist ja nur neidisch."

Chris packte ihn im Nacken und schüttelte ihn kräftig durch. Hanno flog zurück in den Korbstuhl. Maulte. "Lass mich doch tanzen."

Chris nickte. Seine dunklen Augen liebkosten die besoffene Hure, "Tanz', Amigo. Aber fick' nicht ständig fremd." Er nahm ihn in den Arm, kraulte ihn wie das verrückte Terriermischmaschgemisch von Puwalskis aus dem zweiten Stock , verwuschelte die blonden Locken, strich mit den Fingern über die dezent geschminkten Lippen.

Hanno heulte. "Hab' doch nur Dich." Leckte seinen Daumen und flatterte mit den Wimpern. Wir drei Schwestern gingen grüßend, ohne gesehen zu werden. Seufzten. Wahre Liebe.

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Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
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