"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Blauauge

Ich kannte einen Mann mit großen blauen Puppenaugen. Das ist nicht ungewöhnlich, aber ich schätze grundsätzlich den finsteren, geheimnisvollen Blick. Meiner ist fast schwarz und schwer zu interpretieren.

"Typisch sizilianisch", sagte er, und ich vergaß, ihn irgend etwas zu fragen, vertrieb das mir fremde Blau aus meinem Glauben und versank in seinem Augenzwinkern, das wie eine Welle war. Salzig, stürmisch und herrlich erfrischend. Manchmal hat sie mich auch umgehauen, sie war gewaltig und konnte schmerzen. Aber ich stürzte mich hinein, ohne bereuen zu wollen.

Ich kannte einen Mann, der lachen konnte, mich mit lachen ließ und fragte, wie viele Sterne es gäbe. Ich sagte "Ziemlich viele", und er sagte, ich hätte zwei vergessen, das wäre keine Bildungslücke. Ich mochte seinen herrlichen Körper, schlank, durchtrainiert. Wirklich gebrauchen konnte er ihn nicht mehr. Zu seinem und meinem Bedauern wurde er schwächer, trotziger, uneinsichtiger.

Sein Zorn auf die Krankheit, die ihn labil und wütend werden ließ, wurde mir so vertraut wie alles, was mich in der Dunkelheit tauchen läßt. Ich schnappe nach Luft, strampele, weil ich leben will, gemeinsam mit ihm, vielleicht, irgendwo und irgendwann, aber da ist keine starke Hand, die mich an die Oberfläche zieht.

Gesund habe ich ihn nicht erlebt, von seiner Stärke, die er sich wieder holen wollte, konnte ich nur träumen. Meine Liebe war nicht einfach, aber ehrlich. Blauauge ging ohne Abschied. In meinen Gedanken gehe ich Hand in Hand mit ihm, ich rieche ihn, atme den Mann, verirre mich mit meinen Fingern in seinen Brusthaaren, die ich liebte, obwohl ich es glatt und nackt mag. Nie bei ihm. Ich wünschte mir, den Blinden sehen lassen zu können. Ich wollte ihn zurück, so, wie er gewesen ist, in einem auswegreichen Nirwana, das doch keinen Platz für mich hat.

Ich liebte diesen Mann, der gern mit mir Hand in Hand gelaufen wäre, so selbstverständlich, wie wir es kennen und glauben, es sei wie der normale Hunger, der gestillt wird zu unserer Zufriedenheit. Der mir von seinen Sternen erzählt und Sand, Salz und die Sonne, die jetzt mein bester Freund ist, geschenkt hätte, ohne etwas dafür zu verlangen.

Einmal haben wir zusammen getanzt. Holprig, steif und doch so wunderbar. Ich denke an ihn und weiß, ich werde ihn wieder sehen. Jung, hoffnungsvoll und glücklich, wie ich es erwarte. und ich bin alt und müde. Aber ich erkenne ihn und lächle ihn an. Ich schaue in blaue Puppenaugen, und er schaut scheu an mir vorbei. Dann zwinkere ich ihm zu, und er zwinkert unbeholfen zurück, ohne zu ahnen, warum.

Und ich weiß, dass alles gut war.

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Foto: Gottes kalte Gabe

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

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