"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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The good young Days

Ich liebte ein Kind. Es hätte meines sein können, wäre ich jemals dafür bereit gewesen. Aber ich blieb gern allein, nahm gedankenlos, übermütig vielleicht die quälende Einsamkeit in Kauf, die mich irgendwann erwarten wird, vermisste nichts, weil ich glaubte, ewig jung und großartig sein zu dürfen. Und stahl mir später, mag sein, aus Trotz, aus Wut über meine schleichende Verwelkung den Sohn einer anderen.

Die Alten hatte ich in mir gehabt, habe zu gesehen, wie sie in meinen Armen verblühten, greise Kerle, Mitte, Ende Dreißig, die ich nicht mehr sprechen, fühlen, schmecken wollte. Ich war hungrig auf sein glattes sehniges Fleisch, trank gierig meine längst verflossene Jugend aus seinen babyblauen Augen…blau, wie auch meine gewesen sein müssen, als ich aus meiner Mutter geschlüpft war, irgendwie im Irgendwo.

Sie wurden dunkel, fast schwarz, und mir war früh bewusst, nicht die niedliche Puppe zu sein, als die meine Schwester galt. Entzückend hat man mich nie genannt. Nur nett. „Ein wirklich nettes Kind.“ Das war ich. Ruhig, damals noch pummelig, übersät mit Fliegengroßen Sommersprossen, stets höflich, fleißig. Nett.

Schön wurde ich schleichend. Und irgendwann war ich fertig. Es war so, als hätte jemand jahrelang an mir herumgemalt, den Pinsel immer wieder in neue Farben getaucht, Skizzen zerknüllt und sich dritte, vierte Versuche erlaubt, um es gut zu machen. Perfekt? Nein. Aber mein Bild ist gelungen, ist stimmig geworden, und ich mochte es, als besonders bezeichnet zu werden. Unsicher war ich mir immer, bin es heute noch, wenn Menschen meine Begleitung suchen. Meiner Schönheit, meiner Ausstrahlung war ich mir nie wirklich bewusst, lebte in mir selbst und verkaufte mich freiwillig, indem ich mich zeigte, wie ich nicht bin.

Ich habe viele Männer gehabt, und ich hätte mehr haben können, wäre ich auf das eingegangen, worum sie gebettelt haben. Christian bettelte nicht. Er stand einfach vor mir, es war ein Straßencafé in der City, ein guter, sonniger Tag, blickte leicht amüsiert, wie ich peinlich berührt gedacht hatte, auf den trockenen Martini, der mir zur Mittagszeit auf meinen Wunsch (natürlich) gebracht worden war, und fragte nach Feuer.

Heute frage ich mich, was seine Mutter empfunden hat, all die Sommermonate, die ich mit ihm teilte, ich, eine Frau, nur zwei Jahre jünger als sie selbst. Ich habe diese Zeit genossen, und ich will sie auch nicht vergessen. Obgleich ich durchaus quälende Gedanken habe, wenn ich zurück denke, mich ins Gericht nehme, was ich nicht mag, weil ich ehrlich sein muss: Ich hätte ablehnen können, als er mich auf einen zweiten Martini einlud, - er selbst trank Tonic, ich war die Alte, die anderes braucht -, und er war so jung, so lächerlich jung.

Er war der, den ich in meinem Schlafzimmer haben wollte. Oder über dem Küchentisch, auf mir im Auto mit einem Lenkrad im Kreuz…egal. Sein Stirnhaar trieb Spielchen mit seinem Gesicht, sein Lachen war so weiß und echt. Freche Klamotten trug er, ich kam mir spießig vor in meinem Leinenanzug und wusste doch, dass ich ihm gefalle.

Als ich zum ersten Mal mit ihm schlief, gab ich mein Bestes. Für mich war es wie eine Zeitreise; ich fühlte mich zurück versetzt in meine besten Jahre, als es mir noch wichtig gewesen war, den Sex mit einem Mann so zu gestalten, als sei allein er der Regisseur. Christian freilich schaffte es, mich so zu befriedigen, wie es kaum ein anderer geschafft hatte. Er ließ mich nicht spüren, was ich zu verdrängen versuchte: Das Verlangen, eine Frau zu sein, die mit Gewalt versucht, so straff und süß zu sein, wie sie es niemals wieder sein wird.

Er sagte: „Du bist mein Honig. Ich lecke dich auf.“ Und ich, so erfahren, so abgeklärt, präsentierte mich devot und ließ mich essen. Ich fragte ihn, so atemlos, wie es sein muss und wie es auch gut ist: „Wo hast Du das gelernt?“ Er zuckte mit den Achseln, lachte sein Lachen, das ich heute noch in mir trage wie das Diamantcollier, das niemand mir jemals geschenkt hat (unwichtig). Und ich war glücklich.

Wir trafen uns noch oft, stets heimlich, manchmal auch zu unbedarft an Orten, die hätten entdeckt werden können. Auf einer der Nordseeinseln lagen wir nackt am Strand, ich hörte ihn ab, spanische Literatur. Wir liebten uns dort, wo jeder uns hätte sehen können, leckten uns gegenseitig den Sand von den Lippen und spuckten ihn kichernd aus, wie unschuldig Verliebte es machen. Seine Haut war Salz, Muskel, Afrika, so braun war er, und ich mit meinen Sommersprossen und dem Pferdeschwanz war das Kind, das normalerweise ich an die Brust gedrückt hätte.

Danach ließ ich ihn gehen. Mehr als ein kurzer Sommer hätte es nicht sein dürfen. Eine Entschuldigung gibt es nicht. Weil es keine geben muss. Ich hätte ihn als Sechszehnjährige gewollt, ihn scheu beobachtet, errötend angelächelt, wenn sein Blick auf mich gefallen wäre, und ich wollte ihn als Vierzigjährige. „His picture reminds me of the good old days.“ Oder an die jungen Tage. So einfach ist das.

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Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

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