"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Die Russen kommen

Die Russen kommen

Ich kann jetzt nur flüstern.
Bin momentan irgendwo in Gelsenkirchen, so ein häßlicher Betonplattenbau mit recht mieser Geräuschkulisse, mein Bett stinkt nach ungewaschenem Hund, und die wollen mich wohl abtransportieren.

Gemütlich untereinander sprechen die nur russisch, das ist unhöflich, ich kapiere kein Wort, aber die quatschen über mich, das ist klar. Die kloppen sich und küssen sich, dann saufen sie und glotzen mich grinsend an. Wodka haben sie mir gegeben, Zigaretten auch, eine Zahnbürste und eine frische Unterhose vermisse ich immer noch.
Aber wie soll ich das vernünftig formulieren, was ich gern hätte?

Ganz blöd bin ich hier hinein geraten. Da war diese Vera. Schöne Frau. Ziemlich aufgemotzt, die Russinen haben es gern schrill, eben bunt, ausreichend mit Gold ausstaffiert, außerdem rollen sie die Laute, das macht nervös, das klingt nach: „Ich hol gleich meinen großen Bruder. Oder die Mafia.“

Geil klingt es auch, zugegeben, wenn man die Augen schließt und ihre Hand sich gezielt im Hosenschlitz verirrt, kann man wunderbar träumen.
Piroschka.
Aber die kam aus Ungarn und war harmlos. Süß.
Vera war anfangs auch süß.

Ich quatschte sie an, es war im Lighthouse, unangemessener Name, das nebenbei, es ist immer arschdunkel dort. Wahrscheinlich soll man den Dreck auf den Toiletten nicht sehen und die ungespülten Gläser, kein Thema jetzt, mir ist eh schon schlecht.
Sie saß dort an der Theke und sah gut aus.

Ich hatte einen verfickten Scheißtag hinter mir, in der Redaktion wollten sie Stellen streichen, mein Interview mit dem Fernseh-Klimbimbim-Opa, der sonst nichts kann, ging in die Hose, ich hatte Schluckauf und mochte ihn nicht, und ich nannte meinen Chef „inkompetenter Flachwichser“, woraufhin der einen bösen Schmollmund machte und die Zentrale informierte.

Also hatte ich Durst. Hockte sauer herum und knabberte Erdnüsse, an denen vermutlich schon vorher uringetränkte Finger herum gefuchtelt hatten. Männer schütteln ab und denken gar nicht dran, sich die Pfoten zu waschen. Ich schon. Ich bin wohlerzogen.

Dementsprechend angemessen zeigte ich mich auch der aufgetakelten russischen Schlampe gegenüber, die neben mir saß, Menthol rauchte und in ein Glas mit gelbem Zeug starrte. Vermutlich Brennspiritus.

„Allein hier?“
„Naturlich. Siehst du Mann neben mir?“

Sie hatte diese dicken roten Lippen und wirklich tolle Beine, und ihre Augen waren groß und grün, ganz zu schweigen von ihren Brüsten, die aus einem Ausschnitt grüssten, den ich gern auf der Stelle ausgeleckt hätte.

„Trinken wir was?“
„Noch habe. Danke. Bist du Turke?“
Sie sah mich scharf an. Ich bin dunkel.
„Nein. Warum?“
„Darum. Blad. Scheiß drauf.“
Sie kippte das Glas in einem Zug hinunter und drohte dem Kellner mit dem Zeigefinger.
„Noch einen gibst du mir sofort.“
Ich war amüsiert und etwas verliebt.
„Du bist niedlich.“
Sie lachte. War wohl nicht echt.
„Ich bin gefährlich.“

Ich fand sie schräg. Aber ich hätte mir auch gut vorstellen können, sie durch zu ficken, bis der Mond rot wird. Ich sah sie nackt und schwitzend, ich wollte sie, wollte die Nacht, vielleicht auch den Spiritus.

Dazu kam es nicht.

„Was machst du?“
Sie blickte mich so an, keine Ahnung, wie man das beschreiben soll, so provokant von oben bis unten, das machte mir ein Gefühl im Bauch und im Kopf und im Schwanz, das war gut.
„Bin Journalist. Läuft beschissen zur Zeit.“
Sie nickte. Blickte ernst, trank ihr merkwürdiges Gesöff aus und glotzte mich mit ihren grünen großen Augen an.
„Warst du im Knast? Kannst du mit Knarre? Bist du Iwan?“

Ich Vollidiot. Für mich war das ein Spiel.
Also grinste ich dämlich, zündete mir eine Zigarette an, bestellte mir ein viertes, fünftes, keine Ahnung mehr, Bier, und sagte:
„Was glaubst du, wen du vor dir hast?“

„Gut.“

Das war das letzte Wort, das ich von ihr gehört habe. Vorerst. Sie ist einfach gegangen, hat mich wie Karlarsch an der Theke sitzen lassen, also den Abend hatte ich mir anders vorgestellt, aber es kam noch besser. Jetzt mal ironisch gemeint.

Nachdem ich mich noch einmal blind auf der Toilette entleert hatte, um nicht zu gucken, was sich da an Dreckskram herumtreibt, und nachdem ich dreimal Scheiße gebrüllt hatte wegen dieser Vera, packten mich draußen, bevor mein Taxi eine Chance hätte bekommen können, die Russen.

Sie stülpten mir eine Tüte über den Kopf und zerrten mich ins Auto.
Jetzt sitze ich in diesem schäbigen Loch in Gelsenkirchen, die hören traurige Musik, heulen und saufen, gleich wird es lauter, dann tanzen sie und schlagen und vertragen sich, große Güte, ich bin Michael Mannfeld, ich bin nicht Iwan.

Soeben kam Vladi rein, drückte mich brüderlich und gab mir eine neue Flasche Wodka. Keine Unterhose.
„Iwan, wir jetzt fahren nach Kasachstan. Freust du dir? Vera wartet.“

Ich fasse es nicht. Keiner versteht mich, warum wartet diese Vera auf mich, ist das Mafia, wieso macht Sizilien nichts?
Und dass ich überhaupt nicht russisch spreche, scheint nicht sonderlich zu interessieren. In Oywlowogulka oder sonstwo drücken sie mir dann wohl eine Kalaschnikow in die Hand und nötigen mich, auf was weiß ich zu schiessen.

Mein Großvater hätte seine Freude gehabt, der liebte solche Geschichten.

Es war ein Scheißtag,

Okay, dieser lästige Tag hin oder her, er war da, ich mochte ihn nicht. Punkt. Ich befinde mich ergo ungewohnt in russischer Gefangenschaft. Das sollte prinzipiell als doch recht unniedliche, sozusagen üble Situation anerkannt werden, da sagen viele zu Recht wohl, ach du Scheisse, was für ein Mist aber auch.
Nun bin ich nicht im Krieg und lasse mir heiter die Zehen abfrieren in lausigen Kälte, während ich traurige fette Tanzbären mit Nasenringen befreie, denen mein Mitgefühl kompromisslos immer noch gilt, die frieren und fluchen auch, und wie, die sollten schlafen und froh sein, nicht den Clown spielen müssen für wahnsinnige Vollidioten, die Peace nicht mal mehr krächzen können.
Ich wäre gern Che Guevara, der Typ hatte dieses wilde Charisma, ich selbst kann den Müll nicht korrekt trennen, dafür latschen die Weiber mir eine. Ich schäme mich, ehrlich, ich bin ein Mann. Oder was?
Meine ich, obwohl ich es nun nicht unbedingt besser erzählen könnte als Opa Ebsche. Der war ein Kerl und behauptete, Katharina sei ein versautes Luder gewesen, ich hab das gegooglet, das stimmt. Macht mich ganz krank, diese Vorstellung, alle wild durcheinander, klar, ohne Gummis.

Gekannt hat er die persönlich nun nicht,

Ich mag sowas, da denkt man, Deibel auch, die damals waren schon echte Schmierlappen, da kann man sich getrost noch etwas daneben benehmen, da kann mal auch schon mal in eine doofe Situation geraten, und Gott tätschelt trotzdem lieb den Kopf.
Ich spüre da nichts, rein gar nichts, und werde leicht unsympathisch. Die Russen mögen mich so nur bedingt, das merke ich, ich grinse also blöd und schreie „Hossa!“, wenn sie auf ihre Schenkel klopfen. Oder was ähnlich Deppertes.
Ist nicht russisch, weiß ich selbst. Hauptsache, sie zementieren mir die Füsse nicht ein. Das kenn ich aus Filmen, das ist wohl auch eher italienisch, die da unten mögen sowas, ich weniger.

Zur Zeit bin ich deutlich schlecht gelaunt. Mein Großvater hätte stolz seine Socken ausgezogen und gezeigt, was so Sache in Sibirien war, der hing im russischen Staatszirkus am Trapez mit den Zähnen, hat sich hineingebissen und sich um die eigene Achse gedreht, das muss man wohl gesehen haben, hat aber keiner wirklich. Er krückte halt gern ein bisschen herum im Familienkreis und im Wacholderstübchen, wo er meinen dicken dummen Hund mit Schnaps zum Mitläufer machte.

Ich schweife ab. Meinen Entführern ist kurzfristig der Alkohol ausgegangen, jetzt servieren sie mir Sekundenkleber mit Wasser und Salz, den braunen Klumpen in der Flasche schmeissen sie weg, gut so, sieht nach Köttel aus, sowas will ich nicht.
Schmeckt aber.

Da fällt mir ein, dass mein alter Kumpel Paschka, ein Halbrussepole mit grauenhaftem englischen Akzent, der Psychiater geworden ist, was mich verunsichert, Hundeköttel als Knödel bezeichnet hat. Er hatte einen sibirischen Feldläufer, Lolle, zumindest behauptete er das frech, aber Lolle sah aus wie eine missglückte Kreuzung aus Kampfstier und Fischotter, irgendwie komisch. Also unter Rasse stell ich mir was anderes vor, nix gegen Sibirien, wo ich nicht hin will, aber das sagte ich nicht, Paschka konnte nett grantig werden, wenn man ihn des Lügens bezichtigte.
Besonders beliebt war Lolle nicht, er biss und war bockig und kackte wirklich überall hin. Wenn das jemand sah und Paschka ordentlich streng aufforderte, gefälligst den fetten Haufen aus dem Vorgarten oder von der Fußmatte zu entfernen, wurde der Doktor logisch: „Kann ich nicht Arsch zukneifen nicht. Oder?“
Damit war für ihn die Sache erledigt.
Grundsätzlich genial, sowas.

So ein bisschen Russe wäre ich auch gern. Freilich hört man ja allerlei. Die klauen sich die Penner von der Straße weg, stecken die in feine Anzüge und knallen sie ab. Tatsache.
Ich stell mir also vor, grad mal eine korrekte Durststrecke zu durchleben, das kommt vor, kein Grund zur Scham. Ich häng in Moskau oder Mullywlodwa oder Oywlogluska mehr oder weniger unnütz herum, bin vermutlich ein verkannter Künstler, der die Nutten nicht bezahlen muss, weil er so verdammt gut aussieht, und ernähre mich von Fischköpfen und Stutenmilch.
Schmeckt. Durchaus.
Glaube ich.
Dann packt mich die Mafia. Stellt mich unter die Dusche, putzt mir die Zähne, kauft mir einen edlen Zwirn, verbindet mir die Augen und schleppt mich ab. Irgendwann befinde ich mich in einer Art Bernsteinzimmer, das schüchtert mich schon mal ein, als sie mir den Lappen aus dem Gesicht reissen. Da hockt ein fetter muffeliger Kerl hinter seinem Schreibtisch und sagt: „Niet.“
Einfach so. Der will nicht zahlen, das passt der Mafia aber nicht, mir auch nicht, nur wird dem nichts abgeschnitten, weil der Kohle genug hat, wäre ja blöd, den zu versenken. Ergo killen sie mich, bevor ich mich beschweren kann. Und erklären dreist, ich sei auch so ein zahlungsunwilliger Querulant, da könnte er mal gucken, was solchen Spielverderbern so alles Unschönes passieren kann, da sollte er doch mal scharf nachdenken, ob er auch so unappetitlich durchlöchtert auf dem echten geklauten Perser liegen will.
So machen die das.
Aber die Frauen sind gut. Spaciba und Blad, mehr kann ich nicht, Prost geht noch, ach Gott, vergiss mich nicht, ich stecke hier fest und weiß nicht, warum.
Vielleicht wollen die mich in ein Versuchslabor bringen, so eins von der ganz gruseligen Sorte, da bin ich wach und fit und werde ausgeräumt. Das geht gar nicht, ich kippe der Arzthelferin frei Schnauze in den Ausschnitt, wenn sie mir Blut abzapft, wenn die mir die Leber klauen oder ein, zwei Hoden werde ich ich richtig sauer.
Jetzt denke ich nur noch an Weiber, das beruhigt irgendwie, ich sehe mich wieder in dieser Kneipe am Tresen sitzen, da hockt die Olga und klimpert mit den Wimpern, ich sag, nix mit Iwan, ich will ficken.
Und sie nickt ihr Okay, sagt „Kommst du brausen, brauchst du Tute“, ich schwöre das, obwohl ich nicht kapiere, und gehe mit.
Schön. Der Mond lacht mich aus, typisch.
Imme noch.
Die Russen haben mich rausgeschmissen.
„Ist kein Iwan.“
Misstrauisch: „Hast du Vera gekusst? Naturlich hast du. Kasol. Du.“
Das klang unfreundlich.
Nun habe ich diese Vera nie kennengelernt, gut so, denke ich, aber Locken hatte die, das weiß ich, und tolle Titten, Russinnen haben sowas, meine sowieso.
Egal jetzt. Ich bin weg. Was zu trinken gab’s aber noch, wir drückten uns ganz fest, bevor ich ohne Hose auf der Strasse landete.
Wo und warum und wozu war ich eigentlich irgendwo?
Michael Mannfeld.
Bekennender Menschenfreund.

Unmittelbar nach meiner wiedergewonnenen Freiheit, die ich ganz klar vermisste und jetzt mit düsteren Augen sehe, wurden vier Leute aus dem Kanal gefischt. Die sahen wohl unschön aus und waren russisch. Zwei davon identifizierte man trotz diletantischer Schnippelei ganz deutlich als Frauen, das macht mich traurig, ich denke an Olga und Vera, herrliche Titten, herrliche Lippen, und irgendwie weiß ich, dass ich da nicht mehr gepflegt an einem Stück rauskomme. Da, Jajaja, Freunde, ich warte. Und weiß immer noch nicht, worauf und warum eigentlich.





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Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

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