"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Goethe gut (Anriss)

Der Hohlkopf legt sich doch glatt mit Goethe an. Dachte Frank Stewermann und beugte seinen Oberkörper weit, ganz weit nach vorn, um Dr. Klaus-Ernst Haferkott so nah wie möglich zu sein. Er war klein und dick, streng genommen hässlich auch noch. Aber ein Krieger. Kurzfristig fiel ihm sein Zwiebelmettbrötchen ein. Das roch der Typ jetzt wohl. Geschah ihm recht. Wirkte verwirrt. Vielleicht war ihm übel.

Dr. Haferkott rückte von ihm ab, glotzte ihn aus seinen blöden blauen Augen an, räusperte sich. "Sehe da jetzt keinen Zusammenhang, Herr Stewermann. Wie kommen Sie darauf, ich hätte etwas gegen Goethe? Was hat der mit Ihrem Roman zu schaffen?" Du Idiot. Du stinkiger Banause. Schimpfte Stewermanns Kopf sachlich. Siehst Du Flachwichser von Verleger das nicht auf einen Blick? "Hier. Lesen Sie das mal." Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Textpassage, die ihm besonders wichtig war.

(…) und Willtrud schleuderte Willibald ihr wollüstiges Wünschen mit den wilden Worten entgegen: "Mir wird, bei aller Kritik, doch oft um Hirn und Titten bang. Egal. Nur zu. Fick mich." Haferkott, der Depp, entfernte seine Brille aus seinem Gesicht und putzte sie umständlich mit dem Zipfel seiner purpurroten Strickjacke. Selbst gestrickt, alles klar, 68er, hat's mit dem ollen Grass, die linke Bazille. Kennt Mutter Ajas Hätschelhänschen gar nicht. Dachte Stewermann und freute sich kurz, weil er selbst so klug war und dieser Haferkott so offensichtlich doof. "Faust. Der Wagner sagt das auch. So ungefähr.

Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben, doch oft um Kopf und Busen bang. Müssten Sie doch wissen." Haferkott winkte müde ab. Er brauchte schwarzen Kaffee und einen normalen Menschen an seiner Seite. Keifte nach Edeltraud Mührhoff im Vorzimmer, die wieder ganz und gar unmöglich angezogen war, ärgerte sich. Wieso war die nicht chic? Fette Brüste, kurzer Rock, das wär's doch. "Nachschenken", keifte er, dann: "Gott. Stewermann. Faust. Haben Sie da etwa geklaut oder was? Soll ich das gut finden?" Stewermann schubbelte mit seinem Hintern auf dem Stuhl hin und her. Her und hin. Verschenkte Zeit. Kostbare Zeit. Was für eine Frage.

"Nein." Sagte er und verschränkte die Arme vor der feinkarierten Brust. "Nicht geklaut. Sinngemäß übernommen. Zeitgemäß angepasst. Überlegen Sie doch bitte, bevor Sie sich äußern. Alle menschlichen Fehler sind Ungeduld, Verehrtester." Bah, machte sein Bauch. Haferkott sah ihn dumpf an. Hohe Denkerstirn, schreit nach Verstand, aber die Maske fällt, es bleibt der Mensch. Und was für ein Arschgesicht von Mensch. Rousseau. Ode à la fortune.

Dachte Stewermann und sagte: "Kafka. Das mit der Ungeduld ist von Kafka." Haferkott schluckte schlechten Kaffee, die Mührhoff konnte was erleben, verschluckte sich, verfluchte Edeltraud, lieber noch diesen Stewermann, schwor sich erneut, ihn wegwegweg zu jagen und lächelte eisig. "Wie schön. Kafka. Wen haben wir denn noch?"

Stewermann lächelte erfreut zurück. "Lessing, mein Guter. Seite dreiundsiebzig. Mittig. Haben Sie's? Ottokar und Lissbett. Ich zitiere: Und der Mond brannte ihm sonnenklar ins Gesicht. Sie hatten gevögelt. Sie jammerte wie ein kleines Vöglein. Er schleuderte Jupiter seinen Unmut entgegen, die Nase an die Scheibe gepresst. Erwägen! Erwägen! Ich erwäge, verdammt noch mal, dass es hier nichts zu erwägen gibt. Jetzt mach' die Beine wieder breit, Lissbett! Ich liebe Dich."


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Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

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