"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
Startseite Mal eben so gedacht Story News Über mich Bis dato Gedrucktes Pressestimmen Leseproben Rund ums Schreiben Foto-Galerie Meine Bilder Gästebuch Links Kontakt Impressum

Schmonski

Der knutschte mit seinem Buch. Blätterte mit bespucktem Zeigefinger, ohne hinzusehen. Hockte mit übereinandergeschlagenen Beinen im Zug nach Frankfurt links neben ihr und wippte mit dem rechten Fuß. Auf und nieder. Nieder, auf. Rotzgelber Halbschuh. Glotzte sie dabei unauffällig offensichtlich von der Seite an. Hielt sein Buch im Schoß umklammert wie einen festen Frauenhintern, den er nicht gedachte, loszulassen. Oder doch? Hilf Himmel, dachte sie, quatsch mich bloß nicht an.

Elena kniff die Augen zusammen, sah nach Nickerchen aus. "Lange Fahrt. Nichts zu lesen dabei?" Elena klappte die Lider einen Spalt hoch. Wirkte wie Bin-grundsätzlich-schon-eingeschlafen. Hätte so wirken müssen. Nicht bei ihm. "Schau'n Sie hier mal rein. Ist von mir." Knallte ihr sein bestes Stück an den Kopf und schwieg erst mal. Sie starrte auf den Titel. War sofort unglücklich. "Schiller, Schröder und Schmonzki". Von Ruppert E. Schmonzki.

Elena lächelte ihn todtraurig an. Gott, der musste doch registrieren, wie todtraurig dieses Lächeln war. Keine Chance. Ruppert wippte gelb, zuppelte am roten Backenbart und nickte ihr aufmunternd zu. "Na los, Lady. Keine Scheu."

Elena wünschte sich nach Stahlhausen zurück. Da war jetzt Ferkelfestl mit Wahl zur Schweine-Königin, Oma Fridel und Tante Hedwig hatten bestimmt schon ihr zweites Viertelchen vor sich stehen und waren vermutlich bestens gelaunt. Was wollte sie überhaupt in Frankfurt? Freund Gerard wurde vierzig, schön, war ein guter Freund. Aber schwul. Indiskutabel. Sie war auf dem Weg zu einer Schwulenparty in Dr. Gerard Fromms Zahnartpraxis und könnte in Stahlhausen ein Ferkel gewinnen.

War zu spät. Eindeutig. Sie musste Schmonzki erfreuen. Las die Inhaltsangabe und verkrampfte sich leicht. Schmonzki plaudert mit Schiller. Erst über Schiller, dann über Schmonzki. Über die beiden Schröders anschließend auch. Also über Gerd und über den am Klavier. Zum Schluss plaudern alle vier gemeinsam. "Trotz unterschiedlichster intellektueller Weltsicht prosteten sie sich gern und oft zu. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft." Elena schluckte tapfer. Schmonzki strahlte. Elena nicht. Ihr Kopf jaulte. Ihre Lippen höflicherweise nicht. "Klingt originell. So anders. Irgendwie."

Ruppert grinste und zeigte zuviel Nikotin auf den Zähnen. Hatte wohl auch frisch gezauberte Dauerwelle auf dem Kopf. "Kapitel zwei, die ersten Sätze. Schlagen Sie mal auf." Elena dachte an das Ferkel und gehorchte. Oma Friedels Erziehung. "Wenn Deine Mutter Dir schon keine Manieren beibringen kann, dann aber ich, Frollein." Hatte sie geschafft.

Elena suchte Kapitel zwei, lächelte Ruppert ungern an und sprach die Worte laut. Das tat ihr augenblicklich Leid. Sie blickte sich um. Leicht hektisch. Hatte da jetzt irgendeiner zugehört? "Schmonzki zog an seiner Pfeife und tätschelte Schillers Hinterkopf. Nachdem er ihm erklärt hatte, dass er ein schluddriges Leben mit eindeutig verpassten Chancen, auch hinsichtlich seines versoffenen Geistes, geführt hatte, brach der Gute in Tränen aus.

Schmonzki gab ihm wohlwollend sein Taschentuch, schenkte ihm zur Beruhigung noch einen Klaren ein und versprach ihm, auch mit Goethe noch paar mahnende Takte zu wechseln." Jetzt wird's Zeit, loszubrüllen. Oder zu heulen. Damit können Männer schwer umgehen. Obgleich, wer weiß, dieser Ruppert. Dachte sie so allein vor sich hin, gab ihm das Buch zurück, nickte, öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu. Ihr Hirn wollte jetzt nichts sagen. War manchmal bockig. Da hörte sie grundsätzlich drauf.

Schmonzki war enttäuscht. "Hinten geht's mit den Schröders weiter." Sie nickte. "Glaube ich Ihnen." Schmonzki zog eine Schnute. "Aber da haben Sie wohl keinen rechten mentalen Bezug zu. Ist auch schwere Kost." Stopfte Schiller, Schröder und Schmonzki ins Aktentäschchen und überlegte sich, jetzt ernsthaft zickig zu werden. Geschah der hohlen Schlampe recht. "Zu schwer für Sie, vermute ich mal."

Elena nickte nochmals, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Träumte sich nach Weimar und bat um Verzeihung.


Zurück zur Übersicht


Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

  >>> Bei Amazon

Nach oben
    © Karin Reddemann | Alle Inhalte dieser Webseite sind urheberrechtlich geschützt. | Ich hafte nicht für die Inhalte externer Webseiten